Bericht: Ist es möglich, eine Aussage zurückzuziehen? Teil 2
Ereignet sich eine strafbare Handlung, wird die Polizei in aller Regel erst im Nachhinein dazugerufen. Auch der Staatsanwalt und der Richter erleben die Tat nicht persönlich und live vor Ort mit. Damit der Tathergang rekonstruiert werden kann, sind deshalb die Aussagen der Tatbeteiligten und möglicher Zeugen notwendig.
Erste Befragungen führt die Polizei durch. Anschließend kommt die Akte zum Staatsanwalt, der daraufhin entscheidet, ob das Verfahren eingestellt oder Anklage erhoben wird. Erhebt er Anklage, werden die Beteiligten und die Zeugen vor Gericht ein weiteres Mal vernommen.
Eine Aussage soll dabei helfen, herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Dabei kann eine Aussage den Tatverdächtigen belasten. Andersherum kann sie ihn aber auch entlasten.
Nur: Wer muss wann überhaupt eine Aussage machen? Und was ist, wenn jemand eine Aussage wieder zurücknehmen möchte?
In einem zweiteiligen Bericht beantworten wir diese Fragen. Dabei haben wir in Teil 1 geklärt, wie es mit der Aussagepflicht gegenüber der Polizei aussieht und wann das Recht besteht, die Aussage zu verweigern.
Hier ist Teil 2:
Inhalt
Wann besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht?
Das Recht, die Aussage zu verweigern, hat grundsätzlich nur der Beschuldigte. Er muss sich überhaupt nicht zu dem Tatvorwurf äußern und auch sonst keinerlei Fragen beantworten. Bei einem Zeugen ist das anders. Wer als Zeuge vernommen wird, muss gemäß § 48 Abs. 1 StPO aussagen.
Allerdings ist dem Gesetzgeber bewusst, dass eine wahrheitsgemäße Aussage den Zeugen in einen Gewissenskonflikt bringen könnte. Deshalb hat er für bestimmte Fälle ein Zeugnisverweigerungsrecht vorgesehen.
Von diesem Recht kann ein Zeuge in folgenden Situationen Gebrauch machen:
Verwandte
Durch eine Aussage gegen einen nahen Verwandten könnte ein Zeuge in eine für ihn schwierige Situation geraten. Ist der Zeuge mit dem Beschuldigten verlobt, verheiratet, verschwägert oder in gerader Linie verwandt, darf er deshalb die Aussage verweigern.
In der Seitenlinie bleibt das Zeugnisverweigerungsrecht bis zum dritten Verwandtschaftsgrad erhalten. Geregelt ist das in § 52 StPO.
Ein Zeuge muss also nicht gegen beispielsweise
- seinen Verlobten, Ehegatten oder Lebenspartner,
- seine Eltern,
- seine Kinder,
- seine Geschwister,
- seine Großeltern,
- Onkel und Tanten oder
- den Schwager und die Schwägerin
aussagen. Bei einer Ehe ist es übrigens egal, ob die Eheleute zusammenleben oder noch miteinander verheiratet sind. Selbst wenn die Ehe zwischenzeitlich geschieden wurde, besteht das Zeugnisverweigerungsrecht weiterhin.
Komplizierter wird es in einer Patchwork-Familie. Gegen die eigenen Kinder und auch gegen die Stiefkinder muss der Zeuge nämlich nicht aussagen. Lebt er ohne Trauschein mit seinem Partner zusammen, hat der Zeuge dem Lebensgefährten gegenüber aber kein Zeugnisverweigerungsrecht.
Und auch die Stiefgeschwister untereinander müssen aussagen, weil sie nicht verwandt oder verschwägert sind.
Angehörige bestimmter Berufsgruppen
- 53 StPO benennt einige Berufsgruppen, die die Aussage verweigern dürfen. Dazu gehören zum Beispiel Geistliche, Seelsorger, Ärzte und Anwälte.
Wichtig ist diese Regelung aber vor allem mit Blick auf den Verteidiger des Beschuldigten. Denn hier garantiert das Zeugnisverweigerungsrecht, dass der Beschuldigte offen mit seinem Anwalt sprechen kann.
Ohne dieses Recht müsste der Beschuldigte fürchten, dass sein Verteidiger vor Gericht als Zeuge gehört werden könnte. Und in diesem Fall müsste der Verteidiger wahrheitsgemäß aussagen, sofern er nicht mit dem Beschuldigten verwandt wäre.
Belastende Aussagen
Sehr wichtig ist das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO. Demnach muss der Zeuge nämlich nichts sagen, wenn er sich selbst oder einen nahen Verwandten bei einer wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen belasten würde.
Ob ein konkreter Verdacht besteht, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Könnte die Aussage zur Folge haben, dass er selbst oder ein naher Angehöriger wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, muss der Zeuge entsprechende Fragen nicht beantworten.
Und der Richter muss den Zeugen darauf hinweisen, dass er sich selbst oder eben einen Verwandten nicht belasten muss.
Aber:
Das Zeugnisverweigerungsrecht erlaubt dem Zeugen lediglich, nichts zu sagen. Lügen darf er nicht. Der Zeuge kann also entweder von seinem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen und schweigen. Oder er muss wahrheitsgemäß aussagen.
Ist es besser, eine Aussage zu machen oder zu schweigen?
Dass der Beschuldigte ein Aussageverweigerungsrecht und der Zeuge unter Umständen ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, bedeutet nicht, dass sie von diesem Recht Gebrauch machen müssen. Ob und wann eine Aussage taktisch klüger ist, lässt sich pauschal nicht festlegen. Vielmehr kommt es immer auf den Einzelfall an.
Generell gilt aber, dass es im Zweifel besser ist, bei der Erstvernehmung durch die Polizei zunächst nichts zu sagen. Stattdessen sollte sich der Betroffene an seinen Rechtsanwalt wenden.
Als Strafverteidiger kann er die Akten einsehen und so den Stand der Ermittlungen in Erfahrung bringen. Auf dieser Basis kann der Anwalt die Verteidigungsstrategie ausarbeiten und mit dem Betroffen absprechen, ob und wie sich dieser zur Sache einlässt.
Aussagen, die den Beschuldigten entlasten, können auch später vor Gericht noch vorgetragen werden. Im Unterschied dazu ist es nicht mehr so leicht, einmal gemachte Aussagen wieder zu entkräften.
Hat ein Zeuge kein Zeugnisverweigerungsrecht, muss er so oder so aussagen. Und dabei unterliegt er der Wahrheitspflicht. Er darf weder lügen noch etwas verschweigen oder dazuerfinden. Vielmehr muss er wahrheitsgemäß das sagen, was er weiß.
Als Zeuge zu lügen, ist aber ohnehin eine denkbar schlechte Idee. Denn eine Falschaussage ist kein Kavaliersdelikt.
Durch eine Falschaussage macht sich der Zeuge strafbar, und das unabhängig davon, ob er vereidigt wurde oder nicht. Auch für eine uneidliche Falschaussage ist eine Freiheitsstrafe vorgesehen.
Ist es möglich, eine Aussage zurückzuziehen?
Diese Frage lässt sich kurz und knapp beantworten: Nein!
Eine Aussage kann nicht zurückgenommen werden. Die Angaben, die der Beschuldigte oder Zeuge gegenüber der Polizei oder dem Staatsanwalt gemacht hat, bleiben in der Ermittlungsakte. Dabei ist es auch egal, ob er das Protokoll unterschreibt oder nicht.
Verweigert er die Unterschrift, wird das halt entsprechend vermerkt. Eine Aussage, die der Beschuldigte oder Zeuge vor Gericht macht, fließt in das Verfahren ein.
Selbstverständlich kann es sich der Beschuldigte oder Zeuge jederzeit anders überlegen und doch noch aussagen. Genauso kann er seine Aussage ergänzen oder korrigieren. Als Zeuge ist bei nachträglichen Berichtigungen aber etwas Vorsicht geboten.
Denn anders als der Beschuldigte muss ein Zeuge immer und ausnahmslos die Wahrheit sagen. Erklärt er dann aber, dass seine erste Aussage Quatsch war und in Wirklichkeit alles ganz anders abgelaufen ist, könnte ihm eine Falschaussage unterstellt werden. Damit hätte er sich strafbar gemacht.
Eine Aussage nachzuholen, zu vervollständigen oder zu berichtigen, ist also möglich. Nur geht es eben nicht, eine Aussage zurückzunehmen. Jedenfalls nicht mit der Folge, dass die Aussage damit von der Bildfläche verschwindet.
Selbst wenn der Beschuldigte ein Geständnis ablegt und dieses Geständnis später widerruft, ist es damit nicht aus der Welt. Denn ein Geständnis und ein Widerruf sind am Ende auch nichts weiter als Aussagen. Und wie alle Aussagen werden sie im Gerichtsprozess auf ihre Belastbarkeit überprüft und entsprechend gewürdigt.
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