Bericht: Ist es möglich, eine Aussage zurückzuziehen? Teil 1
Egal ob Straftat, Verbrechen oder Ordnungswidrigkeit: Damit Verstöße gegen Recht und Gesetz aufgeklärt werden können, müssen Beteiligte und Zeugen befragt werden. Als sich die Tat ereignete, waren die Polizei, der Staatsanwalt und der Richter schließlich in aller Regel nicht vor Ort. Um den Tathergang rekonstruieren zu können, sind sie deshalb auf Aussagen angewiesen.
Kommt es im weiteren Verlauf zu einer Anklage, werden noch einmal Befragungen durchgeführt. Neben dem Beschuldigten werden dabei auch die übrigen Tatbeteiligten und die Zeugen vor Gericht gehört.
Doch eine Aussage muss keineswegs immer nachteilig sein. Sie kann den Tatverdächtigen zwar belasten, aber eben genauso gut auch entlasten.
Nur:
Was ist eigentlich, wenn jemand gar nicht aussagen möchte? Wann muss er aussagen und wann hat er das Recht, die Aussage zu verweigern? Und ist es möglich, eine Aussage zurückzuziehen? Diese Fragen beantworten wir in einem ausführlichen Bericht.
Hier ist Teil 1!:
Inhalt
Ist eine Aussage bei der Polizei Pflicht?
Oft führt die Polizei erste Befragungen gleich vor Ort durch. Später werden die Beteiligten und die Zeugen dann noch einmal schriftlich zur Vernehmung vorgeladen.
Lange Zeit war es so, das keine Pflicht bestand, einer Vorladung durch die Polizei Folge zu leisten. Jemand, der vorgeladen war, musste also weder zur Polizei kommen noch dort eine Aussage machen. Wenn jemand nicht wollte, musste er noch nicht einmal überhaupt mit den Polizeibeamten sprechen.
Ist die Vorladung vom Staatsanwalt, sieht die Sache anders aus. Wer von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wird, ist dazu verpflichtet, zu erscheinen und auszusagen. Gleiches gilt, wenn ein Richter zur Vernehmung vorlädt.
Der Gesetzgeber hatte also sehr klare Unterschiede gemacht, welche Befugnisse die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bei Zeugenvernehmungen haben. Ende August 2017 hat sich die Rechtslage aber geändert.
Von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, ist damals nämlich eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die darauf abzielt, Strafverfahren effektiver zu gestalten.
Im Zuge der Gesetzesänderung wurde § 163 StPO (Strafprozessordnung) neu geregelt. Absatz 3 besagt seitdem: “Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. …“
Die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft meinen die Polizei. Nach aktueller Rechtslage besteht somit jetzt auch gegenüber der Polizei die Pflicht, einer Vorladung zu folgen und eine Aussage zu machen.
Dass laut Gesetz “ein Auftrag der Staatsanwaltschaft” vorliegen muss, hat in der Praxis wenig Bedeutung. Denn zum einen soll durch die Gesetzesänderung ja gerade die Effektivität von Strafverfahren verbessert werden.
Folglich dürfte der Spielraum bei der Definition, wann ein staatsanwaltschaftlicher Auftrag vorliegt, recht groß sein. Und zum anderen ermittelt die Polizei per se für die Staatsanwaltschaft.
Juristisch ist bisher noch nicht geklärt, ob die Staatsanwaltschaft die Polizei für jede einzelne Vernehmung separat beauftragen muss oder ob sie der Polizei nicht auch eine Art generelle Ermächtigung erteilen kann. Doch selbst das ist letztlich zweitrangig.
Denn selbst wenn ein eigenständiger Auftrag notwendig sein sollte, dürfte er im digitalen Zeitalter über moderne Kommunikationswege innerhalb von Minuten übermittelt sein.
Das Recht auf einen Beistand verschafft Zeit
Eine Möglichkeit gibt es aber, wie sich zumindest eine sofortige Aussage gegenüber der Polizei verhindern lässt. Denn wer vernommen werden soll – egal, ob als Beschuldigter oder als Zeuge – hat das Recht auf einen Beistand. Er hat also Anspruch auf eine rechtliche Beratung, bevor er sich in irgendeiner Form zur Sache äußert.
Macht jemand von diesem Recht Gebrauch, darf er zunächst schweigen. Weil der Beistand gesetzlich verankert ist, muss ihm die Polizei die notwendige Zeit einräumen, um beispielsweise einen Anwalt zu konsultieren. Bis dahin muss er keine Angaben machen.
Dieses Recht besteht aber nicht ewig. Spätestens bei einer Befragung durch den Staatsanwalt oder den Richter gibt es keinen Aufschub mehr. Eine Aussagepflicht besteht nur dann nicht, wenn die Person von einem Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen kann.
Wann besteht ein Aussageverweigerungsrecht?
Niemand muss sich selbst belasten. Wird jemand als Beschuldigter vernommen, muss er sich nicht äußern, sondern kann die Aussage komplett verweigern. Auf dieses Aussageverweigerungsrecht muss der Beschuldigte bei einer Vernehmung auch ausdrücklich hingewiesen werden. Das ist in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelt.
Dass der Beschuldigte keine Fragen und schon gar nicht solche, die ihn selbst belasten, beantworten muss, ist ein sehr wichtiges Recht. Deshalb sollte sich der Beschuldigte auch nie zu irgendwelchen Angaben oder Kommentaren verleiten lassen. Stattdessen sollte er mit seinem Verteidiger absprechen, ob und wenn ja, wie er sich zur Sache einlässt.
Ein Aussageverweigerungsrecht hat grundsätzlich nur der Beschuldigte. Doch genau hier liegt die große Schwierigkeit. Denn oft ist nicht so einfach zu erkennen, ob jemand nur Zeuge oder schon Beschuldigter ist.
Wurde formell ein Ermittlungsverfahren eröffnet, ist der Zeuge offensichtlich zum Beschuldigten geworden. Auch bei gezielten Maßnahmen des Strafprozesses, beispielsweise einer erkennungsdienstlichen Behandlung oder einer körperlichen Untersuchung, ist die Sache klar.
Ansonsten obliegt die Entscheidung dem pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Ändert sich im Verlauf der Befragung die Ausgangssituation und wird aus einem Zeugen ein Tatverdächtiger, muss die Befragung unterbrochen werden.
Sie wird fortgesetzt, nachdem der Beschuldigte über sein jetzt vorhandenes Aussageverweigerungsrecht belehrt wurde.
Im 2. Teil klären wir das Zeugnisverweigerungsrecht und die Möglichkeit, eine Aussage zurückzuziehen.
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